Einblicke in eine Chorprobe
Jeden Montagabend trifft sich im Eschborn K eine muntere Schar aufgeschlossener Menschen, um ihrem gemeinsamen Hobby, dem Singen im Chor, zu frönen.
Nach herzlichen Begrüßungsszenen werden unter lautstarkem Geplauder Stühle gerückt – ja, man hat sich viel zu erzählen, die letzte Chorprobe liegt immerhin schon sieben Tage zurück! –, bis jeder seinen angestammten Platz gefunden hat.
Auch der Chorleiter ist inzwischen eingetroffen, angereist aus dem fernen Lindenholzhausen. Mitunter etwas gestresst von der langen und staugefährdeten Anfahrt, bezieht er am Klavier Position und versucht, durch zarte Klänge auf sich aufmerksam zu machen und Ruhe in den Bienenschwarm zu bringen. Wenn das gelungen ist, beginnen die Einsingübungen. Zuspätkommende können sich noch weitgehend unbemerkt auf ihren Platz schleichen, während Schultern gekreist, Hüften geschwungen, die Wirbelsäule durchgebogen sowie Beine, Bauch und Brustkorb beklopft werden. Lalas und Nonos schrauben sich durch alle Tonarten in die Höhe, gereckte Hälse in allen Registern versuchen mitzuhalten, mitunter erkennend, dass die Stimmbänder doch noch gewisser Übung bedürfen – bis schließlich alle in das abschließende „Mammamia“ einstimmen und sich wieder setzen dürfen.
Der Chorleiter nennt das erste Stück und die Information setzt sich wellenartig bis in die letzte Reihe fort. Ordner werden aufgeschlagen, Papier raschelt – konzentriertes Suchen beginnt. Der Chorleiter wartet geduldig, gibt zum wiederholten Male den erfolgversprechenden Tipp, die Noten doch alphabetisch zu ordnen. Das Gemurmel ebbt ab. Die überwiegende Mehrzahl wurde fündig. Andere geben die Suche resigniert auf, schauen unsicher in die Runde, bis sich die Notenwartin mit strengem Blick erbarmt, ein weiteres Notenblatt herauszurücken, das dankbar entgegengenommen wird – aber nur leihweise, denn Ordnung muss sein!
Die Probe beginnt. Zunächst sind die Männer an der Reihe – das Fundament für die Frauenstimmen, wie der Chorleiter immer mal wieder betont. Taktweise wird mit Klavierbegleitung neues Terrain erobert, bis sich der Melodieverlauf in den Köpfen eingeprägt hat. Dann die Altstimmen – konzentriert widmen sich die Damen den Noten, was den Chorleiter wiederholt dazu veranlasst, darauf aufmerksam zu machen, dass permanentes Stirnrunzeln bleibende Falten verursacht. Zuletzt darf der Sopran einstimmen, der zugegebenermaßen bei allgemein bekannten Liedern den leichtesten Part hat, da er die
Melodiestimme singt. Um den reinen Klang höherer Passagen nicht zu gefährden, empfiehlt der Chorleiter der einen oder anderen Sängerin schon mal Mut zur Lücke und den Wiedereinstieg in tieferen Gefilden.
Als nächstes folgt ein traditionelles schwedisches Lied. Dabei kommt bei einigen Choristen und Choristinnen die textbezogene Frage auf, was man denn da singe. Der Chorleiter, des Schwedischen nur begrenzt mächtig, übersetzt sinngemäß; die überwiegende Mehrheit gibt sich damit zufrieden. Wer‘s genauer wissen will, bemüht zu Hause den Google-Übersetzer. Dann wird emsig gearbeitet, bis auch die letzten Disharmonien beseitigt scheinen – zumindest bis zur nächsten Chorprobe.
Nicht jedes vom Chorleiter ausgesuchte Lied kommt bei der Sängergemeinschaft gleich gut an. Während manch einer mit Inbrunst die Töne schmettert, macht sich anderswo verhaltene Begeisterung breit, mitunter werden auch schon mal entnervt die Augen gerollt, aber jeder gibt schließlich sein Bestes, um das Werk klanglich entstehen zu lassen.
Der Chorleiter ist stets darauf bedacht, den Chor in seiner Entwicklung voranzubringen. Um Zusammenhänge und Hintergründe plausibel zu machen, bedient er sich dabei gern alltäglicher Vergleiche, die meist zur allgemeinen Erheiterung beitragen; manche aber auch – ob der mitunter zweifelhaften gedanklichen Verbindung – etwas nachdenklich zurücklassen. In jedem Fall muss man konstatieren, dass der Maestro ein wachsames Auge und Ohr auf seine Schützlinge hat. Insbesondere Friseurbesuche und neue Brillen entgehen ihm ebenso wenig wie mundartlich gesungene Textpassagen!
Am Ende der Chorprobe werden die Geburtstagskinder der letzten Woche mit einem Ständchen bedacht. Sie notieren vorher ihren Liedwunsch auf einem kleinen farbigen Zettel und geben diesen beim Chorleiter ab. Der oder die zu Ehrende darf dann in der Mitte des Raumes Platz nehmen, um den vollen Wohlklang des Chores zu genießen. Dieses sehr geschätzte Ritual zaubert schon mal beseelte Blicke in die Gesichter oder Tränchen der Rührung in die Augenwinkel – je nach Liedgut.
Zum Abschluss richtet der Vereinsvorsitzende noch einige Worte an die Anwesenden. Termine werden bekanntgegeben oder nochmals erinnert, neue Projekte werden vorgestellt oder über vorangegangene resümiert, neue Mitglieder werden begrüßt oder Grüße von Ehemaligen übermittelt.
Dann folgt der gesellige Teil des Abends, bei dem regelmäßig noch ein Teil des Chores in fröhlicher Runde zusammensitzt. Nicht selten werden Geburtstage gefeiert, Speis und Trank herumgereicht und nochmal ein Trinkliedchen angestimmt.
Man nimmt Anteil aneinander – wie in einer großen Familie.
Das ist es, was die singfonie Eschborn neben der Freude am gemeinsamen Singen verbindet!
Christine Bauer